Liebe und Mai
Nicht mein Hormonhaushalt oder der Hormonhaushalt anderer ist es, der meine Lust zum Philosophieren über die Liebe wachsen und das Thema wiederholen lässt. Es ist die Stadthalle Uelzen.
Denn während bei allen anderen Menschen die Lust an der Liebe von eben diesem unserem Hormonhaushalt organisiert wird, wird die Liebe in Uelzen von der Stadthalle bzw. von einem Veranstalter organisiert. Eine Riesenparty für Singles solle es werden, die keine mehr sein wollen - stundenweise oder generell. Ich finde diese Organisation für Singles sozialförderlich, sozusagen Management für Schüchterne. Da die Liebessause aber eben vorwiegend für Singles und Schüchterne war - beides bin ich nicht - war ich zu schüchtern und las nur, was es da alles gab: Nummern z. B. (Üblich in der Kultur unserer Liebeskultur. Schon Don Juan und Casanova, Henry Miller und Marlon Brando kamen nur klar, indem sie Nummern zählten.) Die Uelzener Stadthallen-Nummerntechnik jedoch zählte nicht einfach additiv, sondern die Nummern hatten eine dialogfördernde Funktion: Wer jemanden näher kennen lernen wollte- der gab an der Rezeption die Nummer des oder der Betreffenden an. Ein Dritter vermittelte dann die beiden Betreffenden, die meist dann Getroffene oder Betroffene wurden. Von Amors Pfeilen Getroffene. Oder von Enttäuschung Betroffene. Na, im Schummerlicht und bei Musik gibt's nur das Eine. Die Fürsorge des Veranstalters in der Stadthalle ging jedoch über die Vermittlung weit hinaus, die man ja früher Kupplerei nannte und die es zu seriösen Rollen brachte (denke nicht nur an ,,Anatevka" ...). In der Stadthalle wurden vielmehr ,,Liebesnester" geschaffen. Um Nestliebe zu erfahren.
Wie sich doch die Bedeutungen wandeln. Nestliebe war bei mir noch diejenige zwischen Eltern und ihren Küken. Und Liebesnester hießen früher Knutsch- oder Kuschelecken, noch früher Liebeslaube oder Lustpavillon. Je nach Geldbeutel. Im Mai fanden sich dieselben auf einsamen Mai-Wiesen, unter oder zwischen Mai-Büschen, auf überdachten Hochsitzen oder in den Wohnungen, wenn diese von Erwachsenen geräumt waren. Oder in CVJM-Zelten. In jedem Fall waren die früheren Nester, Lauben, Ecken und Höhlen einsam, still gelegen und nicht so bevölkert mit Warteschlangen, wie ich mir das bei den Stadthallen-Nestern vorstelle. Was ich nicht verstehe: Was die Töchter und Söhne von heute am liebsten im Kintopp-TV sehen oder lesen oder erzählen bekommen - wenn es um Liebe geht?
Sie wissen nicht, was sie tun, die Jungen von heute - wenn sie die alten Filme und Stories anschwärmen mit der altmodischen Liebe darin. Sie wissen nicht, wie schwer, wie schlimm, wie furchtbar mühsam Liebe damals war. Und wie wunderschön einfach es die Uelzener Stadthalle macht.
16. Mai 2000